Frau Prof. Dr. Müller, zu viel Fett, Zucker und Salz in Lebensmitteln können zu gesundheitlichen Problemen wie Sodbrennen oder Bluthochdruck führen. Das scheint auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zu wissen. Durch welche Strategie zeigt sich das Ihrer Meinung nach aktuell?
Durch die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie. Diese hat die Bundesregierung am 19. Dezember 2018 beschlossen.
Was ist das Ziel dieser Strategie?
Das Ziel besteht darin, bis Ende 2025 den Gehalt an Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten aus dem Supermarkt zu reduzieren. Dadurch soll der Kaloriengehalt gesenkt und die Nährstoffzusammensetzung von Fertigprodukten verbessert werden.
Wer war an der Strategieentwicklung beteiligt?
Die Strategie ist zusammen von Bund und Ländern sowie Verbänden aus den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Lebensmittelwirtschaft, Verbraucherschutz als auch Wissenschaft erarbeitet worden.
Die Strategie ist also kein Gesetz.
Genau. Es handelt sich bei der Reduktions- und Innovationsstrategie um keine gesetzliche Vorgabe. Die Lebensmittelhersteller gehen eine Selbstverpflichtung ein. Sie streben freiwillig nach dem Ziel, Zucker, Fett und Salz in ihren Produkten zu reduzieren.
Welche Mengen an Zucker und Co. befinden sich denn aktuell noch in unseren Lebensmitteln?
Ich habe mir gestern unterschiedliche Frühstückscerealien aus einem Supermarktregal herausgegriffen. Gefunden habe ich in ihnen Zuckergehalte zwischen 20 bis 30 Gramm Zucker pro 100 Gramm. Das ist viel. Tiefkühlpizza enthält aktuell etwa 1,4 bis 1,8 Gramm Salz pro 100 Gramm.
Also sind Fertigprodukte mit Vorsicht zu genießen?
Insofern, dass viele Fertigprodukte im Vergleich zu frisch zubereiteten Lebensmitteln kalorienreicher sind. Sie enthalten häufig mehr Zucker, Fett und Salz. Außerdem sind die Portionsgrößen manchmal zu groß gefasst. Doch wenn jemand eine Portions-Packung aufmacht, verzehrt er deren Inhalt meistens auch vollständig.
Wäre es demnach besser, Fertigprodukte aus den Supermärkten zu verbannen?
Nein. Ich möchte damit auch nicht sagen, dass alle Fertigprodukte schlecht sind. Es gibt sicherlich viele Gerichte, die an selbst gemachte Alternativen herankommen. Zudem haben sie einen großen Vorteil – sie sind schnell verfügbar. Berufstätigen beziehungsweise Personen, die einfach wenig Zeit haben, kommt das entgegen. Fertigprodukte sind nicht mehr wegzudenken.
Gibt es denn eine bestimmte Produktgruppe, der die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie eine besondere Beachtung schenkt?
Neben der allgemeinen Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertiglebensmitteln, stehen Produkte für Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt. Dazu zählen zum Beispiel Frühstückscerealien, Limonaden, Desserts oder Soßen wie Ketchup – Letzteres ist bei Kindern sehr beliebt. Und natürlich gibt es viele Lebensmittel, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen verzehren. Daher möchte man beispielsweise auch den Salzgehalt von Pizzen und Chips reduzieren.
Um wie viel Prozent sollen die Stoffe reduziert werden?
Eine pauschale Antwort gibt es hier nicht. Für bestimmte Lebensmittel hat das BMEL konkrete Ziele formuliert. So soll zum Beispiel der Gehalt an Zucker in Frühstückscerealien für Kinder um 20 Prozent vermindert werden. Bei Erfrischungsgetränken werden 15 Prozent weniger Zucker angestrebt und bei Kinderjoghurts 10 Prozent. Tiefkühlpizzen, als weiteres Beispiel, sollen im Jahr 2025 maximal 1,25 Gramm Salz pro 100 Gramm enthalten.
Warum enthalten Fertigprodukte im Supermarkt überhaupt Zucker, Salz und Fett?
Diese Inhaltsstoffe haben wichtige geschmackliche und technologische Funktionen. Denken Sie nur daran, was passiert, wenn Sie Zucker in einer Pfanne erhitzen – er karamellisiert. Bei der Herstellung von Keksen sorgt dieser Effekt beispielsweise für ein leckeres Backaroma sowie eine schöne Bräunung. Sie wollen ein gutes Mundgefühl? Ein Sahnejoghurt bringt das eher als ein Magerjoghurt mit sich. Einfach weil Fett für die Cremigkeit des Produktes wichtig ist.
Zucker und Salz benötigen die Hersteller unter anderem auch für die Haltbarkeit der Produkte. Eine Konfitüre ohne Zucker wäre ein Fruchtmus, dass relativ schnell verderben würde. Salzheringe werden erst durch die Salzzugabe haltbar.
Für was benötigt die Lebensmittelindustrie Salz noch?
Salz ist beispielsweise auch für die Elastizität des Teiges bei der Brotherstellung wichtig. Wenn der Teig nicht elastisch ist, dann geht er nicht so schön auf. Zudem bringt der Einsatz von Salz bei der Wurstherstellung die Saftigkeit und Knackigkeit mit sich. Denn damit lässt sich das Wasserbindungsvermögen des Bräts erhöhen.
Und Fett? Ist es noch für etwas anderes als den Geschmack wichtig?
Fett und Zucker leisten einen wichtigen Beitrag zum Volumen. Stellen Sie sich vor, Sie backen einen Kuchen und lassen diese Zutaten weg. Der Kuchen gelingt sicherlich nicht so wie sonst – ihm wird die Masse fehlen. So ist es auch bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln.
Das bedeutet, dass es gar nicht so leicht ist, von heute auf morgen Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten zu reduzieren. Vermutlich ist das auch der Grund dafür, weshalb das BMEL die Ziele bis zum Jahr 2025 anstrebt.
Ja. Zum einem gilt es, den Verbraucher zu berücksichtigen. Denn er ist es, der die Produkte kauft. Damit er den Geschmack nicht als fad empfindet, muss er erst schrittweise an beispielsweise weniger Zucker oder Salz im Lebensmittel gewöhnt werden. Zum anderen ist es aus lebensmitteltechnologischer Sicht nicht so einfach, bestimmte Stoffe von heute auf morgen von der Zutatenliste zu streichen.
Vor welche Herausforderungen werden die Lebensmittelhersteller nun gestellt?
Sie müssen die Rezepturen und evtl. auch die Herstellungsverfahren ändern. Dafür ist jedoch noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit notwendig. Aktuell führen Forschungsinstitute beispielsweise Versuche durch, bei denen die Forscher durch eine uneinheitliche (inhomogene) Salzverteilung im Lebensmittel – Salzinseln – die Salzfreisetzung beim Kauen optimieren möchten. Das bedeutet, obwohl weniger Salz im Essen ist, wird der gleiche Salzgeschmack wie vorher im Mund erzeugt.
Man benötigt Zeit, um die neuen Inhaltsstoffe sowie Möglichkeiten testen zu können. Denn es wäre schön, zum Beispiel für Zucker den wirklich idealen Ersatzstoff zu finden – der gleich schmeckt, weniger oder besser überhaupt keine Kilokalorien (kcal) hat und technologisch genauso verarbeitbar beziehungsweise einsetzbar ist wie der ursprüngliche Inhaltsstoff. Gesund soll er natürlich auch noch sein. Eben das ist schwer.
Zu den andersartigen Inhaltsstoffen zählen die sogenannten Healthy Sugars. Was hat es mit diesen neuen Zuckern auf sich?
Es sind süßende Stoffe, die eine Alternative zum Haushaltszucker darstellen, kalorienärmer sind und keine gesundheitlichen Nebenwirkungen haben sollen.
Könnten Sie ein Beispiel für einen solchen neuen Zucker nennen?
Ein Beispiel für einen Healthy Sugar wäre die Allulose – ein Einfachzucker, der unter anderem aus Zuckerrüben hergestellt werden kann. In der EU darf Allulose bislang noch nicht verwendet werden - das Zulassungsverfahren läuft aber schon. Bis zur Markteinführung dauert es vermutlich allerdings noch zwei oder drei Jahre. Der Zuckerersatzstoff wird momentan auf Herz und Nieren geprüft.
Das Tolle an diesem Zucker ist, dass er sich wie gewöhnlicher Zucker verarbeiten lässt und 70 Prozent der Süßkraft von Haushaltszucker besitzt. Zudem hat er nur 0,2 kcal pro 100 Gramm. Im Vergleich: Haushaltszucker enthält 4 kcal.
Ein Zucker fast ohne Kalorien – wie kann ich mir das vorstellen?
Der Körper kann Allulose nicht verstoffwechseln beziehungsweise Energie daraus gewinnen. Andere Stoffe wie Haushaltszucker, die kalorisch ins Gewicht fallen, werden im Darm in ihre einzelnen Bausteine aufgespalten. Diese Bausteine kann der Körper dann aufnehmen und für die Energiegewinnung nutzen.
Gibt es auch einen Ersatzstoff für das übliche Fett?
Wir haben Salatrims als Fettersatzstoff. Das sind kalorienreduzierte Triglyceride (Nahrungsfette). Sie haben einen Brennwert von 6 kcal pro 100 Gramm. Im Vergleich: Normales Fett weist 9 kcal pro 100 Gramm auf. Zugelassen sind Salatrims für Back- und Süßwaren. Der Einsatz ist jedoch begrenzt. Bei übermäßigem Verzehr kann es nämlich zu Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall kommen.
Und welche Nicht-Fette könnten die Lebensmittelhersteller anstelle von Fett verwenden?
Es gibt sogenannte Fettaustauschstoffe wie etwa Inulin – ein quellfähiger Ballaststoff (meist ein unverdauliches Kohlenhydrat; überwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln, Anm. d. Red.) – auf dem Markt. Durch die Eigenschaft des Aufquellens entsteht beispielsweise beim Verzehr von Joghurt ein ähnlich cremiges Mundgefühl wie bei einem normalen Fett.
Sie haben nun viel von Ersatz- und Austauschstoffen gesprochen. Gibt es denn nicht einfach die Möglichkeit, die Menge an Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten zu vermindern?
Einen Teil kann man natürlich bei der Herstellung der Produkte reduzieren. Aus lebensmitteltechnologischer Sicht existiert dafür ein gewisser Spielraum. Es schmeckt dann einfach weniger süß, wenn die Hersteller beispielsweise geringere Mengen an Zucker einsetzen. Natürlich sollte die Lebensmittebranche auch dafür sensibilisiert werden, nicht unnötig viel Zucker, Fett und Salz zu verwenden.
Frau Prof. Dr. Müller, sind Sie denn optimistisch, dass es in Zukunft weniger Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten geben wird?
Ja, denn es tut sich einiges. Dennoch ist noch viel Forschungsarbeit dafür notwendig, was Sie am Beispiel der Allulose sehen können. Es dauert einfach eine gewisse Zeit, bis gute Alternativen bei der Herstellung einsetzbar sind.
Für den gesundheitlichen Aspekt ist es zudem nicht ausreichend, bestimmte Inhaltsstoffe zu reduzieren. Ich fände es schön, wenn – über die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie hinaus – mehr Ernährungserziehung in Kindergärten und Schulen stattfinden würde. Zum Teil geschieht das ja auch schon. Die Strategie vom BMEL ist in meinen Augen ein Schritt in die richtige Richtung.